Die Arroganz der Großstadt-Szene zur Absage von Eisenach

Antifaschist*innen aus dem kleinen Eisenach in Thüringen hatten zu einer Demo aufgerufen. Sie sollte sich gegen die in vielen kleineren Orten zu findende Naziszene richten. Klar ist Eisenach nochmal besonders, doch gibt es viele dieser Orte, an denen Nazis sich sicher fühlen und selbstbewusst auftreten. Die Parole „es gibt kein ruhiges Hinterland“ ist nämlich leider viel zu häufig reiner Selbstbetrug.

Denn da, wo es wenig bis keine antifaschistischen Strukturen und Räume gibt, da ist man oft sehr allein. Bei jedem Sticker, den du klebst, schaust du dich dreimal um, nicht dass am Ende einer der Faschos doch noch irgendwo unterwegs ist. Bewaffnung ist Pflicht und wenn es nur das kleine Pfefferspray ist, damit du dann schnell Fersengeld geben kannst. Denn es hat nichts Heroisches unbeobachtet in so kleinen Käffern von Nazis zusammen geschlagen zu werden. An solchen Orten trittst du auch ganz anders auf. Da wird der Neon-Grüne Iro abrasiert, um für die Faschos nicht so leicht zu erkennen zu sein. Du legst Buttons, Aufnäher und klare Aufdrucke ab, damit du selbst entscheiden kannst, wann du in die Konfrontation gehst. Leben in so Nazi-Käffern, in denen sich „Politiker*innen“, Stadtgesellschaft und alle anderen einreden, es gäbe kein Nazi-Problem, ist in vielen Fällen scheiße. Das ist auch der Grund, warum wir so viele Gefährt*innen an die Großstädte verloren haben und der Kreis sich schließt, warum das Hinterland so verdammt ruhig ist.

Doch warum führen wir das gerade so aus? Es geht uns nicht um Mitleid und teilnahmsvolle Worte. Als Mensch aus Kleinstadt, Dorf und Hinterland sind wir schon so oft von den Großstädter*innen enttäuscht worden, da brauchen wir nun auch kein Mitleid.

Anlass dieses Textes ist die Absage eben dieser Demo in Eisenach bzw. die Reaktion auf diese durch viele Menschen aus Großstädten. Wir wollen auf die Gründe für die Absage nicht weiter eingehen, da wir hier in diesem Text jetzt auch nicht die Israel/Palästina-Debatte ausführen wollen, da es den Rahmen des Textes sprengen würde. Worauf wir uns aber alle einigen können ist, dass die Szene das tut, was sie eben am besten kann: Sich hassen. So richtig schön mit Hassnachrichten, Gewalt- und Mordaufrufen. Ein heftiges Spannungsfeld also, welches schwierig zu händeln ist.

Wenn wir uns darauf einigen können, könnt ihr erahnen, worauf wir hinaus wollen. Da organisieren Menschen in einem der (härtesten?) Nazi-Käffer in Thüringen über lange Zeit eine Antifa-Demonstration und werden dann mit einem der Konfliktfelder sozialer Bewegungen in Deutschland konfrontiert. Man kann darüber diskutieren, ob eine Absage wirklich nötig war und die durchgespielten Beispiele wirklich so eingetreten wären. Aber der Ton macht die Musik. Ihr Großstädter*innen könnt das vielleicht nicht verstehen, aber für uns Hinterland-Antifaschist*innen haben solche Demos einen besonderen Wert.

Ihr könnt jederzeit mit 30 – 100 Leuten im lokalen AZ, der Zeckenkneipe oder im Szenekiez abhängen und Spaß haben. Ihr lebt euch aus, ohne große Sorge vor Über- oder Angriffen. Regelmäßig geht ihr auf Demos mit hunderten, teilweise tausenden Leuten und versichert euch gegenseitig Solidarität, Rückhalt und Vertrauen. Für unsereins ist das immer Utopie gewesen. Solche Demos waren für uns immer Momente des Zusammenkommens, des sich aneinander stützen. Klar fahrt ihr am Ende der Demo wieder nach Hause, doch an diesem einen Tag besteht die Chance, den Nazis ihre Wohlfühlzone streitig zu machen. Die Stadtgesellschaft übersieht dich nicht mehr und die Aufmerksamkeit liegt auf dem Ort und der Problematik und ist für diesen einen Tag nicht unter den Teppich zu kehren. Man ist weniger allein, ein Moment der Geschlossenheit und des kollektiven Tragens der Aufgabe, den faschistischen Strukturen das Hinterland doch nicht zu überlassen. Es gibt Mut und Kraft, weiter zu machen. Jede*r einzelne zählt auf diesen Demos. Deshalb zwischendurch mal ein Dank an alle Auswährtsfahrer*innen.

Wenn ihr jetzt im Ansatz verstanden habt, was diese Demonstrationen für Menschen in diesen Orten bedeuten, könnt ihr ja vielleicht euer arrogantes Großstadtgelaber von „die muss man von der Demo boxen/schmeißen/etc.“ lassen. Wie wirkt das wohl nach außen, wenn sich die Demo erstmal selbst zusammenschlägt? Wie sollte dabei auch nur einer der genannten positiven Effekte – ein Gefühl der Verbundenheit, die Aufmerksamkeit auf dem Naziproblem – entstehen? Wie sollte das Mut machen? Klar, manchmal lassen sich solche Situationen nicht verhindern und da sind wir die letzten, die dann jammern, aber wenn von vornherein klar ist, dass ich erstmal Therapeut*in für die Szene spielen muss und am besten einem Teil auf die Fresse hauen, dann ist das alles andere als zielführend.

Wir können, sollten und müssen streiten, über Vieles und auch gerne über die Absage dieser Demo, aber vielleicht nicht von oben herab und einer verständnislosen, ja nicht einmal verstehen-wollenden Position aus.

Wir wollen uns nun auch einmal direkt an die Eisenacher Gefährt*innen wenden. Wir hoffen zwar, aber wissen nicht, ob ihr euch in unserem Text wiederfinden könnt. Jedoch hoffen wir, dass ihr weiter kämpft, denn wir fühlen uns euch sehr verbunden, auch wenn wir eure Umstände nicht vollständig kennen.

Haltet durch, Cola-Korn ist kalt gestellt.
Eure Exil-Kleinstädter*innen, Nazi-Kaff-Bewohner*innen, Dorfromantiker*innen; eure zugezogenen und ewigen Lübecker*innen